LAUDATIO zum 400jährigen Bestehen des Bockumer Schützenvereins 1611 e.V. verfasst und vorgetragen am 23. Juni 2011 von Karl Müller.

Sehr geehrter Herr Weihbischof, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, Herr Präsident, verehrte Majestäten, meine Damen und Herren, liebe Schützenschwestern und Schützenbrüder!

Denken Sie sich bitte mal mit mir hinein in folgende Medien-Mitteilung:

Als der Bockumer Bauer Theill Dürper im Sommer des Jahres 1611 mit dem 523. Schuss den Königsvogel abgeschossen hatte, nahm er sein Handy und rief seine Frau an, die gerade mit dem Trecker auf dem Bockumer Feld unterwegs war, um den Kartoffelacker zu pflügen. Als sie die Nachricht vernahm, fiel ihr vor Schreck die Thermoskanne mit dem heißen Kaffee aus der Hand. Währenddessen trommelte der neue Schützenkönig über Facebook alle seine Freunde zusammen. Sie kamen alle in das riesige Schützenzelt und wurden zur Begrüßung vom jubelnden Theill mit Champagner aus einer Doppelmagnum-Flasche bespritzt. Alt und Stuffkamp flossen in Strömen – bis weit nach Mitternacht die grellen Scheinwerfer ausgeschaltet wurden.

So könnte man den iPhone-Usern von heute erklären, warum wir heute, 400 Jahre später, hier versammelt sind. So könnte man erklären, dass die Schützen auch damals ihren Spaß rund um den Königs-Vogelschuss hatten und nicht nur das sportliche Schießen, sondern auch das gesellschaftliche Leben bei den Festen der Schützen einen hohen Stellenwert genoss. So könnte man aber auch Quiz-Kandidaten in Fernsehshows, beispielsweise von Jörg Pilawa oder Günther Jauch, testen.

Natürlich hat er nicht seine Frau über das Handy von seiner Königswürde informiert, denn er gehörte dem bereits 1429 gegründeten Junggesellen-Schützenverein an. „Bauer sucht Frau“ war damals noch keine Fernsehsendung, sondern eine beliebte Freizeit-beschäftigung nach getaner Arbeit auf dem Feld oder im Stall. Aber – wir wollen ja auch „jönne könne“ – und so hoffen wir, dass der liebe Theill dann doch noch seine Freude mit einer schönen Bockumer Maid teilen konnte.

So kam es denn auch, dass viele Junggesellen-Schützen, die den Verführungskünsten der holden Bockumer Weiblichkeit nicht widerstehen konnten, sich aus dem Junggesellen-Stand verabschiedeten und schließlich im Jahre 1658 den Männer-Schützenverein gründeten. Über 300 Jahre existierte man im sportlichen Wettstreit friedlich nebeneinander. In den bewegenden 20er Jahren des 20. Jahrhunderts waren dann wohl die Grenzen zwischen dem Junggesellen-Stand und der restlichen Männerwelt durch gesellschaftliche Wandlungen nicht mehr so genau zu erkennen. Dies führte zu einer weisen Entscheidung der damals in der Verantwortung stehenden Vereinsführungen: die beiden Vereine fusionierten zum jetzigen „Bockumer Schützenverein 1611“. Das Gründungsjahr leiteten sie vom ältesten erhaltenen und authentisch nachweis-baren Schützensilber ab – eben jenem des Bauern und Junggesellen Theill Dürper, das die eindeutige Gravur der Jahreszahl 1611 und als Symbol das Auge Gottes trägt.

Kommen wir noch einmal zurück auf die neuzeitliche Schilderung der Ereignisse aus dem Jahre 1611. Die Herren Pilawa oder Jauch würden bestimmt noch einige Klarstellungen verlangen. Richtig ist mit Sicherheit, dass das Bockumer Feld von Theill Dürper und seinen Schützenbrüdern beackert wurde. Freilich gab es dort keinen Kartoffelacker, denn diese seltsame Knollenfrucht bahnte sich zu jener Zeit gerade den Weg vom frisch entdeckten Amerika über Spanien nach Europa. Bis Bockum war sie noch nicht vorgedrungen, so dass es bei den Festen der Schützen weder pommes frites noch Bratkartoffeln geben konnte. Natürlich gab es keinen Trecker! Das Feld wurde mit Pflügen und Eggen bearbeitet, gezogen von kräftigen Kaltblütern. Das seit 1611 lückenlos erhaltene Königssilber der Bockumer Schützenkönige zeigt uns auf den Plaketten viel vom damaligen Leben im bäuerlich geprägten Ort. Die Landwirte hießen damals wirklich noch Bauern und wenn sie die Königswürde erlangten, zeigten sie dies voller Stolz mit Gravuren auf ihren Silberplaketten, z. B. von Pflugszenen auf dem Feld, von Eggen, Pflügen und Dreschflegeln.

Aber auch die Vertreter der „Partnerbranchen“, wie man heute sagen würde, präsentierten ihre Berufsmerkmale auf ihrem Königssilber. Besonders häufig sind es Schmiede und Hufschmiede, die wir erkennen können. Meine Damen und Herren. Die Sache mit der Champagnerflasche, die „Formel-1-mäßig“ verspritzt wurde, war selbstverständlich auch „geflunkert“. Allenfalls gab es frisch vergorenen Kirsch- oder Holunderwein. Ich glaube aber, dass das meistkonsumierte Getränk auch 1611 das Bier war. Obergäriges, wie unser heutiges Alt, so wie es zu dieser Zeit schon hier am Niederrhein gebraut wurde. Hoffentlich nach dem bereits 1516 verkündeten Reinheitsgebot. Sonst wären die Kopfschmerzen am nächsten Tag unerträglich gewesen. …und einen Kräutertrunk, den wir als Vorläufer zu unserem heutigen Stuffkamp ansehen können, hatte man damals bestimmt auch.

Für die Herstellung, den Transport und die Lagerung dieser Getränke brauchte man Bottiche und Fässer. Somit waren auch die Küfer unentbehrliche Partner der Schützen. Häufig wurde einer von ihnen König und zeigte dies auch auf seiner Königsplakette. Bäcker und Metzger, Zimmerleute und Maurer vervollständigen die tiefe Verwurzelung des Schützenwesens im Handwerk. Neben den Symbolen der bäuerlichen und handwerklichen Berufe tragen viele Exemplare im Königs-Silberschatz religiöse Motive. Die Bindung an die Kirche war selbstverständlich im katholisch geprägten Rheinland. Nach dem Auge Gottes auf Theill Dürpers Orden sehen wir später häufig den heiligen Sebastianus, der bis heute der Schutzpatron der Schützen ist. Fast noch öfter ist aber auf dem Bockumer Silber die Pfarrpatronin St. Gertrudis als Klosteräbtissin und Königstochter mit Stab und Mäusen zu sehen.

Auf alten, leider heute nicht mehr vorhandenen Fahnen, sollten diese beiden Heiligen auf blauem Himmelsgrund im Verbund mit einer weißen Lilie die Schützen mahnen, dass stets reiner Friede und wahre bürgerliche Eintracht herrschen möge. Dass die bis heute übliche Eskortierung von kirchlichen Anlässen, wie z. B. Prozessionen, durch die Schützen nicht nur schmückendes, symbolisches Beiwerk sein kann, zeigte sich 1650, als bewaffnete Freibeuter aus dem Moerser Raum die Bockumer Fronleichnams-prozession angriffen. Mit vereinten Kräften schlugen Bockumer und Oppumer Schützen die Angreifer in die Flucht und bewahrten somit die Gläubigen vor einer Plünderung.

Auch heute noch sind viele Bockumer Schützen in Organisationen mit kirchlichen Wurzeln engagiert. Als Beispiel sei hier nur der St. Martins Zugverein genannt, der zum überwiegenden Teil von Mitgliedern des Bockumer Schützenvereins getragen wird.

Trotz des kirchlichen Segens erlitt das Schützenwesen aber in der gesamten Vereinsgeschichte immer wieder Rückschläge – in schlechten Zeiten oder durch Kriege. Kurz nach dem Gründungsjahr, von 1618 bis 1648, tobte in Europa der Dreißigjährige Krieg, der jegliches Vereinsleben zum Erliegen brachte. Lücken in der Liste der Könige und im Bestand des Königsilbers weisen auf weitere Ausfälle hin: rund um 1702 wurden die Burgen in Linn und Kaiserswerth zerstört und als 1758 im 7jährigen Krieg die Schlacht bei Crefeld an der Hückelsmay geschlagen wurde, konnte auch kein Gedanke an Schützenfeste verschwendet werden.

Die französischen Besatzer, die nach der Französischen Revolution das Rheinland eroberten, förderten allerdings die Schützen in ihren Aktivitäten. 1802 stiftete der damalige Ortskommandant Duprat sogar eine Erinnerungsplatte von der Garde a cheval Forestière der Republique francaise mit einem Vivat an die Junggesellenschützen von Bockum. Die Bockumer Bevölkerung allerdings war in dieser Zeit bitter arm. So kam es, dass die „Männer-Schützen“ 1805 ihr Silber verkaufen mussten, um ihre Familien von dem Erlös ernähren zu können.

Aber ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ging es wieder aufwärts. Die Preußen hatten inzwischen die Herrschaft von den Franzosen übernommen und die Bürgermeisterei Bockum, zu der auch Oppum, Verberg und Rath-Vennickel (das heutige Traar) gehörten, blühte auf. Ab 1883 fuhr auf der von den Franzosen gebauten „Chaussée“ zwischen Uerdingen und Crefeld die Straßenbahn mitten durch Bockum. Der rührige und überaus beliebte Bürgermeister Philibert Keutmann ließ das heute noch markante Gebäude-Ensemble von Rathaus, Apotheke und Feuerwehrturm bauen.

Aber! Er war auch ein großer Freund der Schützen. Das aufstrebende Bürgertum, Handwerker und Kaufleute wetteiferten um die Königswürde. Die Liste der Namen der Könige aus den Jahren um die Jahrhundertwende ist reich gespickt mit prominenten Bockumer Namen. Da war es – fast – nur ein kleiner Schönheitsfehler, dass Bockum 1907 zusammen mit Verberg und Oppum nach Krefeld eingemeindet wurde.

Für den heutigen Chronisten hat die Zeit des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts auch den Vorteil, dass inzwischen die Fotographie erfunden wurde. So können wir uns heute buchstäblich „ein Bild“ von Königen, Königshäusern, Kompanien und Offiziersstäben machen. Sie zeigen uns opulente Gruppenbilder mit prunkvoller Garderobe und reich dekorierten Uniformen. Auf dem Höhepunkt der „Kaiserzeit“ wird 1911 mit dem Schützenkönig Mathias Bruns das 300jährige Bestehen der Junggesellen-Schützen gefeiert – auch hier schon mit Bezug auf Theill Dürper, den König von 1611. Stolz ist Bockum auf die Verleihung des Ordens mit dem „Goldenen Adler“ durch Wilhelm II., König von Preußen.

Dem vorläufigen Gipfel der Vereinsgeschichte im Glanz der Kaiserzeit folgen 40 wechselhafte Jahre mit zwei Weltkriegen, der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten, Schützenfeste, die mit dem Hakenkreuz dekoriert sind. Sicher fällt es allen, die danach geboren sind, sehr schwer, diese Phase der Geschichte zu beurteilen.

Immerhin gibt es in dieser Epoche den Zusammenschluss von Junggesellen- und Männer-schützen im Jahre 1926. Es gibt Neugründungen von Kompanien. Als Beispiel seien hier die Schill-Offiziere genannt, die sich 1935 zusammen fanden.

Auferstanden aus Ruinen. Nach den Zerstörungen des Krieges finden sich um den Vorsitzenden Peter Schroers wieder Bockumer Bürger zusammen, um einen Neuanfang in die Hände zu nehmen. 66 Mitglieder des Schützenvereins hatten in diesem Krieg ihr Leben gelassen. Trotz dieser schmerzlichen Verluste und der schwierigen Lebensumstände wurde das Vereinsleben fortgesetzt. Der Bockumer Schützenverein erhielt am 12. November 1947 als erster Schützenverein die Zulassung der Militär-regierung. Mit 170 Mitgliedern startete man in die neue Zeit des Wiederaufbaus und des später folgenden Wirtschaftswunders.

Zum 340. Vereinsjubiläum gab es 1951 ein bemerkenswertes erstes Nachkriegs-Schützenfest. Der König Willi XI. Pins war auch gleichzeitig der Vereinswirt und Gastronom im Schützenzelt auf dem Bockumer Platz. Den Humor hat man trotz „all dän U-esel“ nicht verloren. Hanrath’s Pitter, die wohl-beleibte Ulknudel im Amt des Bataillonsspießes, schickt kraft seines Amtes das Königshaus zum Kartoffelschälen, als er sich durch Befehle des Generals in der Ausübung seines Amtes gestört fühlt.

Es folgt eine in der Geschichte einmalige Zeit des Wiederaufbaus. Nicht nur für Deutschland, nicht nur für Bockum, ganz besonders auch für den Bockumer Schützenverein. Menschenmassen strömen in den Ort, um an der Gertrudiskirche die von Heinz Nelles in Szene gesetzte Blumen- und Musikparade zu erleben. Begleitet von Bockumer Musikern – dem Trommlerkorps und dem Fanfarenkorps.

Von Schützenfest zu Schützenfest wird die Blütenpracht der Füllhörner bunter und eindrucksvoller. Ein Offizierskorps, das die militärischen Abläufe bei den Umzügen und Paraden fest im Griff hat. Bekannte Bockumer Bürger, und, einer jahrhunderte alten Tradition folgend, Bockumer Handwerker auf dem Königsthron. Eine Familiendynastie, die in dieser Zeit 5 Schützenkönige mit dem gleichen Nachnamen stellt. Schirmherren, die mit ideeller und monetärer Unterstützung die finanziellen Risiken dieses bunten Treibens abfedern.

Im Rahmen eines 400jährigen Jubiläums blickt man gerne zurück. Man erinnert sich besonders gerne an die Epoche, die man selbst miterlebt, selbst mitgestaltet hat. An einem solch markanten Augenblick ist es aber auch eine Pflicht, nach vorne zu schauen! Eine Verpflichtung gegenüber Denjenigen, die erfolgreich diese 400jährige Vereinsgeschichte gestaltet haben. Aber auch eine Verpflichtung gegenüber den Enkeln und Großenkeln der heutigen jüngsten Schützen, die in 100 Jahren das halbe Jahrtausend bejubeln wollen.

Die Zeit schreitet unaufhörlich, und offensichtlich immer dynamischer voran. 60 Jahre sind nun schon wieder seit dem Auferstehen aus Ruinen im Jahre 1951 vergangen. Aus vitalen Jungschützen der 50er und 60er Jahre sind gestandene ältere Herren geworden. Der Zeitgeist wandelt sich in immer kürzeren Perioden. Die Pflege des Brauchtums, so auch das Schützenwesen, wird von manchen Leuten kritisch beäugt. Sie finden Brauchtum oft nur in der Fremde schön, bejubeln es in deutschen Urlaubsregionen oder auf Auslandsreisen. Aber leider verkommt Brauchtumspflege dann oft zur billigen Folklore-Show. Diese Gefahr besteht bei uns nicht – mangels Tourismus. So bleiben wir authentisch!

Zuwanderung, nicht nur die von Menschen aus dem Ausland, ist ein Thema. Viele Menschen ziehen nach Bockum, weil man hier so schön wohnen kann. Diese Mitbürger müssen gewonnen werden, als Mitglieder, als Zuschauer am Straßenrand, als Gäste im Festzelt.

Schützen beschützen. Es beliebtes Wortspiel des amtierenden Königs Rolf mit fast schon philo-sophischer Tiefe! Die Aufgabe in den Gründungs-jahren, als beschützende Bürgerwehren aufzutreten, ist längst verloren gegangen. Allerdings bleibt der sportliche Schieß-Wettkampf gerade hier in Bockum unverzichtbarer Vereinszweck! Das Vereinsleben der Schützen in unterschiedlich geprägten Formationen trägt ganz wesentlich zum sozialen und gesell-schaftlichen Zusammenleben eines Ortes, eines Stadtteils bei und gipfelt im Schützenfest, das beim Feiern die Generationen und die verschiedenen Gruppierungen der Gesellschaft vereint. So beschützen die Schützen ihre Mitbürger gleich auf zweierlei Weise vor der leider fortschreitenden sozialen Vereinsamung: durch sportlichen Wettstreit und durch Feiern im Festzelt.

Gutstalten, Treuhalten, Festhalten am Alten! Lassen Sie mich mit dem zweiten Element dieses Wahlspruchs beginnen: Treuhalten! Nur eine konsequente Treue zum Verein führt zu einem jahrhunderte anhaltenden Erfolg! Das haben viele der hier anwesenden langjährigen, treuen Mitglieder bewiesen. Festhalten am Alten! Die Fortführung der Traditionen muss auch in Zukunft Ziel der Vereinsaktivitäten sein und bleiben.

Und jetzt zum ersten Wort des Vereinsmottos: Gutstalten! Es klingt so altertümlich, aber es birgt in sich die modernste und wesentlichste Verpflichtung. Die Verpflichtung die Gegenwart und die Zukunft des Vereins gut zu gestalten. Sie den Lebensgewohnheiten und den Gegebenheiten der jeweiligen Epoche anzupassen, ohne dabei die Treue zu den Traditionen aus dem Auge zu verlieren. Man muss hin und wieder mal alte Zöpfe abschneiden. Die Frisur muss dann aber besser aussehen, als vorher und dem Träger wie dem Betrachter Freude bereiten.

Der Bockumer Schützenverein ist in den Jahren rund um sein 400jähriges Jubiläum auf dem besten Wege, die Forderungen des Vereinsmottos zu erfüllen. Die Tradition am Schießstand, im Festzelt und auf der Straße wird fortgesetzt. Als Beispiel sei hier die für Bockum so markante Blumen- und Musikschau genannt. Neue Veranstaltungsformate zeigen erste Erfolge: die Oldie-Rock-Pop-Schützenparty und „Bockum verwöhnt…!“ Diese Veranstaltungen führen dazu, dass sich immer wieder neue und andere Menschen auch für die Schützen-Traditionen interessieren.

Wenn das so weitergeht, bin ich überzeugt, dass Bockum im Sommer des Jahres 2111 ein glanzvolles Fest zum 500jährigen Bestehen des Bockumer Schützenvereins 1611 erleben wird. Gutes Gelingen!